Unser Name

 

retrato-de-camilo-torres-restrepo_thumbUnser Stamm ist nach dem kolumbianischen Priester Camilo Torres Restrepo benannt, was seinerzeit Ende der 60er bei der Stammesgründung für großen Gesprächs- und Diskussionsstoff sorgte. Heute ist die Auseinandersetzung mit unserem Namensgeber – mit seinen Ansichten und Werten – wesentlich geringer und droht zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Der folgende Artikel von Daniel Heinz gibt einen ersten Überblick über den Lebensweg von Camilo Torres:

Jorge Camilo Torres Restrepo röm.-kath. Priester und zuletzt Verfechter der revolutionären Gewalt auf dem lateinamerikanischen Weg zu sozialer Gerechtigkeit; als einer der ersten getöteten Guerillero-Priester zählt er zu den bedeutendsten christlich-militanten Sozialreformern der Gegenwart. * 3.2. 1929 in Bogotá, Kolumbien, + 15.2. 1966 bei El Carmen (Gemeinde S. Vicente) in der Nähe von Cúcuta, Kolumbien. Sein Grab wird bis heute von den Militärs geheimgehalten. Nachdem Torres als Kind mehrere Jahre mit seinen Eltern in Europa verbracht hatte, besuchte er in Bogotá die Grundschule »Colegio Aleman«.


 

Von klein auf brachte er sein Mitgefühl den Ausgebeuteten gegenüber zum Ausdruck, indem er unverkäufliche Arzneimuster seines Vaters an die Arbeiter einer nahegelegenen Ziegelei verteilte. Das Kinogeld verschenkte er an Kinder in den Armenvierteln.

Nach dem Abitur am »Liceo Cervantes« studierte Torres ein Semester an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Nationaluniversität in Bogotá und wurde Redakteur der antiklerikalen Zeitung »La Razón«. Die Begegnung mit französischen Dominikanern, die er über seine Freundin, Tochter einer angesehenen Arztfamilie, kennengelernt hatte, führte zu einer entscheidenden Wende in seinem Leben.

(»Ich begriff, dass dem Leben, wie ich es verstand und lebte, der Sinn fehlte.«) Im Frühjahr 1948 wollte er in das Dominikanerkloster von Chiquinquirá eintreten, was seine Mutter in letzter Minute verhinderte. Schließlich entschloss er sich, Priester zu werden, um als »Diener der Menschheit« zu wirken. (»Ich entdeckte das Christentum als einen vollständig auf die Nächstenliebe konzentrierten Weg.«) Als Seminarist in Bogotá glänzte er im Studium und wurde 1954 vorzeitig zum Priester geweiht. – Die nächsten fünf Jahre verbrachte Torres als Soziologiestudent in Löwen (Belgien) und gründete dort eine kolumbianische Arbeitsgemeinschaft für sozioökonomische Forschung. Seine Studien in Löwen schloss er mit der Diplomarbeit »Statistische Daten zur sozioökonomischen Realität der Stadt Bogotá« ab. Von Belgien aus unternahm er zahlreiche Reisen durch Europa. In Paris arbeitete er während der Semesterferien mit dem bekannten Arbeiterpriester Abbé Pierre zusammen.

Nach einem kurzen Studienaufenthalt an der Universität von Minnesota, St. Paul, USA, kehrte Torres 1959 in seine Heimat zurück, in ein Land, das von bürgerkriegsähnlichen Zuständen erschüttert wurde. In Bogotá wurde er zunächst zum Studentenpfarrer der Nationaluniversität berufen und gründete dort gemeinsam mit dem Soziologen Orlando Fals Borda u. a. die sozialwissenschaftliche Fakultät, an der er selbst von 1960 an vier Jahre lang als Professor wirkte. Als er öffentlich gegen den Verweis mehrerer Studenten von der Universität protestierte, wurde er von der Kirche seines Amtes als Studentenpfarrer enthoben. Trotzdem hegte die Kirche zu diesem Zeitpunkt noch kein grundsätzliches Misstrauen gegen Torres. Als Direktor der »Escuela Superior de Administración Pública« wurde er unmittelbar nach seiner Entlassung als Studentenpfarrer vom Kardinal Luis Concha zum Repräsentanten der Kirche im Direktorium des Kolumbianischen Institutes für soziale Agrarreform bestimmt, was zweifellos ein Vertrauensbeweis der Kirche war.

Torres wandte sich nun zunehmend politischen Aufgaben zu. Zu dieser Zeit glaubte er , die Armut der von feudalen Strukturen beherrschten Landbevölkerung noch mit einer richtig angesetzten Agrarreform und Industrialisierung überwinden zu können. Bei der gesellschaftlichen Integration sollte der Mittelklasse eine Schlüsselrolle zufallen. Ende 1964 scheint sich jedoch ein fundamentaler Gesinnungswandel bei Torres eingestellt zu haben. Er kommt zu der Erkenntnis, dass nur ein radikaler politischer Wechsel die gesellschaftlichen Strukturen verändern kann. Dieses Ziel, die Machtübernahme durch das Volk, will er mit demokratischen Mitteln über eine breite, auf die Mächtigen Druck ausübende »Einheitsfront« der Bevölkerung (Frente Unido) verwirklichen. Im März 1965 legte er dazu sein berühmt gewordenes politisches Manifest »Plataforma« vor, das den Argwohn der Kirche hervorrief und zu seiner Entlassung als Direktor der Hochschule für öffentliche Verwaltung führte. Als er im Juni 1965 seine Ansichten weiter radikalisierte und die »Revolution« als ethischen »Imperativ« für den Christen bezeichnete, kam es zum endgültigen Bruch mit der Kirche. Torres bat nun um Versetzung in den Laienstand.

»Ich habe die Vorrechte und Pflichten eines Priesters aufgegeben, aber ich habe deshalb nicht aufgehört, ein Priester zu sein … Die Revolution ist eine Pflicht des Christen, wenn sie die einzige wirksame und hinreichende Möglichkeit ist, die Liebe zu allen durchzusetzen… Aus Nächstenliebe habe ich mich der Revolution verschworen. Nach der Revolution werden wir Christen sagen können, dass wir ein System errichtet haben, in dem die Liebe zum Nächsten oberster Grundsatz ist. Der Kampf wird lang sein, lasst uns heute schon beginnen.« Den Kommunisten rief Torres zu, dass er »nicht daran denke, jemals in ihre Partei einzutreten«, und »niemals Kommunist werde.« Dennoch sei er entschlossen, um gemeinsamer Ziele willen an ihrer Seite zu kämpfen. Im Oktober 1965 tauchte Torres unter und schloss sich der Nationalen Befreiungsarmee an. Sein letzter Aufruf »aus den Bergen« im Januar 1966 endet mit den Worten: »Nicht einen einzigen Schritt zurück … Freiheit oder Tod.« Beim ersten Feuergefecht mit Regierungstruppen kam er auch unter bisher nicht völlig geklärten Umständen ums Leben.

In einem Land, wo sich reaktionäres Christentum und revolutionärer Marxismus schroff gegenüberstehen, musste eine Person wie Torres, der nach einem dritten, authentisch christlichen Weg Ausschau hielt, zwischen die Fronten geraten. Torres war Priester und Partisan zugleich. Bei der Beurteilung seiner Person scheiden sich daher die Geister: für die einen ist er ein christlicher Sozialrevolutionär, der bedingungslos und konsequent für eine gerechte Gesellschaftsordnung kämpft; für die anderen ist er ein von der marxistischen Philosophie irregeleiteter politischer Agitator und Rebell. Torres glaubte zunächst in idealistischer Weise mit Hilfe der herrschenden Klassen, die Unterentwicklung des Landes und der Gesellschaft überwinden zu können. Dann richtete sich sein demokratischer Versuch gegen die Oberschicht durch Mobilisierung der unterprivilegierten Masse der Bevölkerung. Zuletzt erkannte Torres, dass er mit friedlich-demokratischen Mitteln innerhalb des bestehenden politischen Systems die herrschenden Klassen nicht zur Umkehr bewegen konnte und propagierte infolgedessen die soziale Revolution als »einzigen Weg, der uns bleibt«. Torres war nun überzeugt, dass nur ein grundlegender gesellschaftlicher Strukturumbruch, der – wenn nicht anders möglich – auch gewaltsam herbeigeführt werden muss, die Unterdrückung beseitigen kann. Wenn auch andere kirchliche Führer Lateinamerikas wie z. B. Hélder Camara u. a. eine ähnliche strukturelle Revolution fordern, so lehnen sie doch den Handlungsmodus der Gewalt zur Realisierung dieser Zielvorstellung ab, indem sie vor der unaufhaltsamen Spirale der Gewalt warnen. Auch Torres zog anfangs die Gewaltfreiheit der Gewaltanwendung vor; am Ende blieb für ihn aber doch keine andere Wahl, als das Gewehr in die Hand zu nehmen. Denn »die Entscheidung darüber wie der revolutionäre Weg verlaufen soll, liegt nicht allein in den Händen der Armen.« Die Revolution kann nur dann friedlich sein, »wenn die wenigen Mächtigen keinen bewaffneten Widerstand leisten.« Sein konsequentes Engagement für die Rechte der Armen und Unterdrückten fordert Respekt und ist im Bewusstsein vieler Christen Lateinamerikas bis heute lebendig. Revolutionäre Gewalt als Instrument für soziale Reformen lässt sich indes weder moralisch noch politisch rechtfertigen.

Autor: Daniel Heinz 15.11.1999